Es gibt so viele Themen, die auf ein Paar zukommen, wenn der erste Nachwuchs an die Tür klopft. So viele neue, unbekannte Welten, die vorher nur am Rande wahrgenommen wurden. Sobald mensch weiß, dass ein neues Wesen sich den Weg in diese Welt bahnt, kommen sie alle unweigerlich auf dich zu:
Wo möchte Frau gebären? Im Krankenhaus? Im Geburtshaus? Zu Hause?
Was brauch ich alles überhaupt, wenn das kleine Wesen da ist? Wie und sollte ich überhaupt schon ein Kinderzimmer einrichten? Müssen wir vielleicht umziehen?
Welchen Kinderwagen? Überhaupt Kinderwagen? Oder tragen? Gibt es nur ein entweder oder? Und wenn tragen, welche Trage?
Schnuller oder nicht Schnuller, das ist hier die Frage. Stillen - wie geht das überhaupt? Muss ich da länger drüber nachdenken?
Wochenbett - was ist das?
Ab wann sollte das Baby im eigenen Bett schlafen? Sollte es überhaupt im eigenen Bett schlafen?
Angesichts meines bestehenden Mutterschutzes und der nicht mehr aufzuhaltenden Geburt (ich bin in der 40. Woche) meines zweiten Kindes, möchte ich einmal all diese Themen durchgehen. Doch eigentlich beginnt es mit etwas ganz anderem. Mit dem Kinderwunsch. Denn es gibt viele Menschen, denen es verwehrt bleibt. Mir blieb es auch lange Zeit verwehrt und nahm - Gott sei Dank - mit meiner ersten Tochter Marie ein Ende. Aber damit veränderten sich auch viele andere Dinge. Neben den hausgemachten Veränderungen Beziehungen zu Freundinnen und dem Verhältnis zur Selbstverwirklichung. Vor allem, wenn Frau das magische Alter erreicht...um die 30 herum.
Mit 29 Jahren spürte ich den Moment. Ich war seit zwei Jahren glücklich verheiratet. Die Arbeit machte mich gerade unglücklich, eigentlich permanent, aber das ist ein anderes Thema. Auch die neue Stadt Hamburg stellte mich sozial vor viele neue Herausforderungen, so als alteingesessene Berlinerin. Vielleicht trug all das dazu bei, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben den Wunsch verspürte, Kinder zu bekommen. Vielleicht auch das Alter. Und der Mann auf meiner Seite. Das waren wohl die größten ausschlaggebenden Punkte. Und ich wusste: es wird nicht einfach. Es könnte problematisch werden. Meine Mutter hatte nämlich schon Probleme. Damals in den 80´ern erhielt sie ganze drei Jahre eine Hormontherapie, ehe mein Bruder das Licht der Welt erblicken konnte.
Damals nahm ich die Pille und setzte sie mit dem Kinderwunsch ab. Bewusst ging ich ein Jahr nicht zum Arzt. Ich wollte meinem Körper eine Chance geben, sich selbst zu regulieren. Ich hatte ein oder zweimal einen Zyklus. Das kannte ich schon und war der Grund, weshalb ich schon mit 14 Jahren die Pille verschrieben bekam. Schließlich machte ich mich auf zur Frauenärztin und wie verdächtigt, hatte ich eine hormonelle Störung: Polyzystische Ovarien, kurz: PCO. Eine hormonelle Erkrankung, die die Eizellen daran hindert, zu springen um sich auf den Weg in die Gebärmutter zu machen. Ohne das Springen, keine Befruchtung, denn so weit schaffen es die Spermien nicht. Als der Anruf kam, saß ich im Auto, meine Frauenärztin - eine taffe, sehr pragmatische Ärztin - teilte es mir mit, sagte mir aber auch, dass ich mir keine großen Sorgen machen solle, da es die hormonelle Störung ist, von denen die meisten Frauen mit Kinderwunsch betroffen sind und es demnach viele Behandlungsmöglichkeiten gibt. Ich legte auf. Obwohl ich es ja schon ahnte, haute es mich erst einmal um. Es war ungewiss, ob dieser gerade aufgekommene Kinderwunsch tatsächlich in Erfüllung geht.
Die Behandlung begann
Ich bekam ein Mittel, dass die Eier springen lassen soll. Dann wurde alles akribisch begleitet. Ich sollte mir alle körperlichen Anzeichen notieren, den Kalender im Blick behalten, es wurde gerechnet und dementsprechend alles "überwacht". Als dann die Eier gesprungen sind, gab es noch hormonelle Spritzen, die das Gelbkörperhormon unterstützen sollen - damit das Ei im Falle einer Befruchtung sich auch gut in die Gebärmutter einnisten kann. Beim ersten Durchgang hat es nicht geklappt. Das Schwierige daran - gerade mit PCO - du weißt nicht, ob aufgrund deiner hormonellen Störung oder aufgrund einer Befruchtung die Tage ausbleiben. Erst beim Test weißt du es.
Im zweiten Durchgang sah die Frauenärztin, dass zwei Eier gesprungen sind.
"Möchten Sie Zwillinge?"
Das war so ein Moment, der so absurd war und mich abrücken ließ von all den Untersuchungen und gefühlten `Experimenten´. Da lag ich auf dem Untersuchungsstuhl und die Frauenärztin sieht die zwei gesprungenen Eier. Ich wusste nicht so recht, was ich darauf antworten soll. Ich wünschte mir ein Kind. Und nicht ein Spielzeug, dass ich im Internet bestelle. Das kommt doch nicht auf Bestellung! Meine Realität fühlte sich so anders an, als das der Ärztin, deren täglich Brot aus eben solchen Feststellungen besteht. Ich musste mich zuvor damit auseinandersetzen, dass es bei mir "nicht einfach so geht". Wir versuchten es trotzdem in diesem Zyklus. Es war ja auch nicht klar, ob wirklich beide befruchtet werden, aber die Möglichkeit bestand. Außerdem war es im Grunde ein gutes Anzeichen, mein Körper sprang auf das Medikament an.
Auch mein Mann wurde in diesem Zyklus untersucht. Das beschäftigte mich fast noch mehr, als meine eigenen Baustellen. Ich wusste, dass die Behandlungsmöglichkeiten beim Mann sehr viel eingeschränkter sind. Es würde sehr viel gravierende Eingriffe benötigen, um das ausgleichen und/oder unterstützen zu können. Wir lasen uns schon mal in alle Krankenkassen ein, wer vielleicht wie viel zur künstlichen Befruchtung bezuschusst.
Und wieder negativ
Auch in diesem Zyklus hielt ich wieder einen negativen Schwangerschaftstest in der Hand. Diesmal warf es mich aus der Bahn. Ich fing an, mich damit auseinander zu setzen, was wir tun, wenn das alles nicht klappt.
In der Kennlernzeit sprach ich mit meinem Mann schon darüber. Ich warnte ihn vor, dass es bei mir nicht einfach sein könnte. Sogar in unserem islamischen Ehevertrag ist festgehalten, dass in diesem Fall eine Adoption für beide denkbar ist. Doch das eine ist, über eine Sache entfernt in der Zukunft zu reden und das Andere: dieser Tatsache ins Auge zu sehen. Es war schwer vorstellbar für meinen Mann und meine Profession brachte mich noch zu vielen anderen Gedanken, die ich zuvor in der Kennlernphase nicht bedacht hatte.
Adoption
Das ist der Grund, weshalb ich es hier teile. Denn wie so vieles, gibt es fast keinen Bereich in der Sozialen Arbeit, der nicht mit dem privaten - mit der Lebenswelt - im Zusammenhang steht. Damals arbeitete ich als Pflegefamilienberaterin. Ich betreute Paare, die entweder einen unbefriedigten Kinderwunsch hatten und/oder aus gleichgeschlechtlichen Gründen Pflegekinder aufnehmen wollten. Um mir ein umfassendes Verständnis der Lebenswelt von Pflegeeltern zu machen, nahm ich an sämtlichen Info Abenden teil, wo neben dem Pflegewesen auch die Adoption vorgestellt wurde.
Eines fiel mir in dieser Arbeitszeit immer wieder auf: Adoption oder Pflege waren nicht selten die letzte Option. Es gab im Verhältnis nur wenige Familien, die mit eigenen Kindern sich zur Pflege oder Adoption bereit erklärten. Und in diesem Moment, als ich im Badezimmer mit dem negativen Schwangerschaftstest in der Hand stand, fragte ich mich selbst: wenn wir soweit sind, dass es unsere letzte Option ist, dann will ich es nicht. Das möchte ich nicht fürs Kind, das möchte ich nicht für uns. Das möchte ich nicht für mich. Klar ist: JEDES Kind hat es in einer Pflegefamilie besser, als in einem Kinderschutzhaus. Auch wenn Pflegeeltern mit Erwartungen und Wünschen an Pflegekinder gehen. Auch wenn womöglich eine lange Leidensgeschichte bis hin zur Entscheidung der Pflege/Adoption voran gegangen ist. Das ist annähernd so normal wie eigene Eltern mit Erwartungen, Wünschen und ihren eigenen Geschichten zu ihrem Nachwuchs kommen. Doch Pflegekinder stehen wirklich am untersten Ende der Nahrungskette. Sie sind das wohl beschützenswerteste Gut unserer Gesellschaft. Sie sollten keine "letzte Option" sein, sondern gleichwertig mit allen Kindern stehen. Das klingt fürchterlich und hart und ich wusste aus Erfahrung, dass niemand meiner Pflegeeltern die Kinder so betrachtete. Im Gegenteil. Ich erkannte - und heute mit Kindern - erkenne keinen Unterschied. Es gibt natürlich Pflegeeltern, die es vielleicht hätten lassen sollen. Aber das gilt auch für nicht wenige Eltern. Und es gibt so viele Pflege- und Adoptionseltern, die alles richtig machen und das Wesen in ihrer Betreuung als das sehen, was sie sind: beschützenswerte Kinder. Sie behandeln sie, wie ihr eigen Fleisch und Blut UND setzen sich mit dem Pflegesystem auseinander UND nehmen all die Traumatisierungen des Kindes in Kauf UND arrangieren sich mit den Herkunftseltern, mögen sie noch so schwierig im sozialen Umgang sein.
Es ist eine Sache der Gemeinschaft, die Existenz und die Bedürftigkeit von Pflegekindern viel früher ins das Bewusstsein aller Partnerschaften zu rufen. Da muss noch viel passieren.
Genau das war für mich der Grund, der mir damals mit diesem zweiten negativen Schwangerschaftstest so klar wurde: wir sollten JETZT adoptieren. Pflege war für meinen Mann nicht denkbar und ich hatte noch ordentlich Respekt davor. Mir wurde bewusst, dass es uns und dem Kind jetzt, wo die noch unbekannte Leidensgeschichte nicht deutlich war, den Druck rausnehmen würde und das fokussiert, worum es doch eigentlich geht: einem unschuldigen Wesen ein Zuhause zu schenken, Liebe auszutauschen, das Eigene zu stärken, einen Menschen aufwachsen zu sehen und die Ehre zu haben, es in all diesen Schritten begleiten zu dürfen.
Ich empfand sogar etwas Reue, dass ich daran nicht schon vorher dachte. Auch angesichts meiner muslimischen Religionszugehörigkeit:
"Oh Allah, ich wache über das Recht der beiden Schwachen: der Waisen und der Witwen." (Nasai)
"Der Gesandte Allahs führte seinen Zeige- und Mittelfinger zusammen und sagte: "Ich und derjenige, der sich um eine Waise kümmert, werden im Paradies so sein" (Bukhari)
Als ich mich mit meinem Mann darüber unterhielt, war es für ihn weit entfernt. Die Vorstellung, dass dieses Kind eben nicht unsere Gene hat, als Kleinkind und später womöglich keine Ähnlichkeiten mit uns hat, das verletzte ihn. Ich verstand ihn, doch innerlich setzte ich mich stetig damit auseinander, weil ich wusste, dass das auch unserer Ehe gut tun könnte.
Keine Lust mehr
Nach dem zweiten gescheiterten Zyklus folgte ein eigener. Ich freute mich, selbst mein Gelbkörperhormon brauchte keine Spritze zur Unterstützung. Doch es klappte wieder nicht. Als es um die weitere Behandlungsplanung ging, hieß es: noch einmal mit Tabletten und danach müssten wir in die Kinderwunschklinik. Ein Schritt näher an der künstlichen Befruchtung, Schritte zurück zu einer natürlichen Zeugung. Es bedeutete noch mehr Untersuchungen, noch mehr Tests, noch mehr `Überwachung´ um eines der natürlichsten Sachen der Welt, die ja eigentlich bei näherer Betrachtung nicht gerade selbstverständlich ist, zu imitieren. Ich hatte keine Lust mehr und vereinbarte keine weiteren Arzttermine. Dafür machte ich aus meinem damaligen Ein-Fach Master Pädagogik ein Doppelstudium. Zudem noch in Kiel. Jeden Tag pendelte ich von Hamburg nach Kiel und stopfte mich mit Wissen voll, lenkte mich ab und setzte mich damit auseinander keine Kinder zu haben. Schließlich gehören zu einer Adoption zwei Menschen und ich konnte meinen Mann verstehen, dass er dazu (noch) nicht bereit war. Aber ich konnte auch nicht weiter an mir rumdoktorn lassen. Ich war und bin doch so viel mehr als eine Gebärmaschine, deren Startknopf wohl nicht richtig funktionierte. Ich war wissbegierig, ehrgeizig und zielstrebig. Ich konzentrierte mich schließlich auf das, was ich aktiv beeinflussen konnte und nicht mehr auf das, was mich so aufhielt und mich regelmäßig zur Verzweiflung brachte.
So verging ein weiteres halbes Jahr, mittlerweile fast zwei Jahre mit Kinderwunsch. Meine Tage setzten ein. Das war das Einzige was ich tat, um passiv meinen Kinderwunsch zu bedienen: ich protokollierte meinen Zyklus. So entstanden sechs darauffolgenden Monate, in denen ich regelmäßig einen Zyklus hatte. Das hatte ich noch nie ohne äußere Behandlung. Aber dann blieben sie wieder aus. Ich nahm es hin, kannte es ja schon, ich hatte auch viel Stress aufgrund des Doppelmasters. Um die Weihnachtszeit 2015 herum wurde es etwas ruhiger und ich nahm neue Projekte in die Hand. Meine Masterarbeit wollte ich mit einer Feldstudie in Neuseeland verbinden, dafür stellte ich sämtliche Anträge bei meinem Stipendiatenwerk und bereitete alles vor.
Im Januar 2016 lag ich einen Dienstag flach, ich vermutete eine Magen Darm Grippe. Am Nachmittag ging es wieder und konnte einen Arbeitstermin wahrnehmen. Am nächsten Tag das Gleiche. Meine damalige Kollegin sagte, ich sollte einen Test machen, ich wäre bestimmt schwanger. Schwanger? Das war zu diesem Zeitpunkt wirklich weit entfernt von mir und der restliche Fünkchen Hoffnung war in mir ziemlich tief vergraben, schließlich hatte ich große Projekte vor!
Am nächsten Tag machte ich den Test und ich konnte es nicht glauben...ich war schwanger.
Rückblick
Wenn ich nun zurückblicke, wird mir vor allem eines deutlich: Viel zu spät und viel zu wenig sprechen wir über Pflegekinder und wann es überhaupt Sinn macht, sich derer anzunehmen. Der Kinderwunsch und die Entscheidung Pflegekinder aufzunehmen stehen nachvollziehbar nah beieinander, aber macht es Sinn, wenn es nur da so nah beieinander steht? In Deutschland gibt es umfangreiche Unterstützungsmöglichkeiten, dass Entscheidungswillige zwar in einem schwierigen und komplexem Hilfesystem involviert sind, aber zumindest finanziell keine Nachteile entstehen lässt. In anderen Ländern `hängen´ Waisen an NGO´s und das wars dann. Das Kinder hierzulande eine temporäre Alternative zu drogensüchtigen oder gewalttätigen Eltern erhalten, ist purer Luxus, aber ebenso abhängig von Bürgern, die sich bereit erklären, diesen Kindern ein geborgenes Zuhause zu schenken. Denn so vieles beginnt Zuhause, das später manchmal nicht mehr revidierbar erscheint.