Islam und Homosexualität - wenn neue Arbeitsverhältnisse dir unbekannte Fragestellungen präsentieren

Letzte Woche berichtete ich von meinen Diskriminierungserfahrungen während eines Bewerbungsgespräches und in der konkreten sozialpädagogischen Arbeit. Diskriminierung kann so vielschichtig sein, dass nicht alle Dimensionen in eine Erzählung passen. Die folgende Begebenheit mit der von letzter Woche lief parallel, ineinander verzahnt, was das eigene Empfinden noch schlimmer machte und viel von mir abverlangte. Ich finde, dass anhand dieser Erfahrung deutlich wird, wie schmal der Grad von Diskriminierung und berechtigter Nachfrage/Vorbehalte manchmal sein kann. Denn in einigen Situationen stellt es dich vor Situationen, die du zuvor noch nie erlebt hast, über die du noch nie nachgedacht hast... Doch im Endeffekt ist doch der Umgang miteinander das, was zählt. Die innere Aushandlung mit bestimmen Themen hat im Grunde andere Menschen nichts anzugehen, solange ihr Wohl dadurch nicht bedroht wird.


Die Ausgangslage

 

Regelmäßig gab es in meinem Träger BewerberInnnen als potenzielle Pflegeeltern. Sie müssen im Rahmen von Erstgesprächen geprüft werden, ob sie sich tatsächlich als Pflegeeltern eignen. Eine Rundmail erreichte mich, wer aus dem Team Zeit hätte, ein homosexuelles Paar dem Erstgespräch mit beizuwohnen. Ich meldete mich sofort, ich hatte zeitliche Ressourcen. Doch die Kollegin reagierte nicht weiter darauf; nach ca. einer Woche suchte ich sie auf und fragte nach. Sie zögerte. "Ja, ich habe da noch nicht reagiert, weil ich da, ja, da muss ich noch was mit dir besprechen. Da habe ich noch einige offene Fragen." Ich wusste, worum es ging und entgegnete: "Ich habe kein Problem damit. Sonst wäre ich nicht hier. Es ist das eine, was die religiösen Vorschriften betrifft und das andere, wie ich mich dazu verhalte. Nach der Logik müsste ich auswandern. Es ist kein Problem, mit dem du dich beschäftigen musst." Es verletzte. Nicht die Sache an sich. Das konnte ich irgendwie – aus ihrer Perspektive – nachvollziehen. Mich verletzte der Gedanke: 40% der Mitarbeiter waren dagegen, dass ich in diesem Träger anfange zu arbeiten. Trotz umfassender sozialarbeiterischer Erfahrung, trotz der Ausnahme-Qualifikation. Trotz des herausragenden Studiums. Sie trägt ein Kopftuch, deshalb kann sie nicht bei uns arbeiten. Und höchstwahrscheinlich gehörte diese Kollegin zu den 40%. Bis zu diesem Zeitpunkt empfand ich sie als sehr sympathisch. Sie war sehr witzig, erzählte tolle Anekdoten in den Mittagspausen und brachte uns regelmäßig zum Lachen. Ich mochte sie eigentlich. 

 

Muslime und Homosexualität

 

Ich kann es nicht leugnen. Es ist ein herausforderndes Thema. Und auch ich dachte gründlich darüber nach: wie stehst du eigentlich dazu? Parallel zu dem Erlebten musste ich mich selbst positionieren. Das passierte alles gleichzeitig. Die gefühlten unzähligen Verletzungen in der Arbeitsstelle, die dreimonatige Auseinandersetzung mit der Pflegemutter und die eigene Positionierung zu vielen Themen, mit denen ich mich vorher nicht beschäftigt habe, es ja auch nicht musste. Wie stehe ich also dazu? Was ist meine Haltung dazu? Meine persönliche Sicht war dabei schon immer: jede/r soll so leben, wie sie/er es möchte. Es geht mich einfach nichts an. Ob ich nun gleichgeschlechtlich mit jemanden leben möchte, mit dem anderen Geschlecht oder enthaltsam bis zur Heirat: das fällt alles hinsichtlich eines friedlichen Zusammenlebens in eine Kategorie: es sollte jedem selbst überlassen bleiben, wie er/sie leben möchte. Es wird immer schwierig, wenn eine dieser Gruppen Alleingültigkeit beansprucht und ein Dogma ausspricht.

Da gehe ich nicht mit, WEIL ich Mensch und Muslima bin. Doch natürlich setze ich mich auch auf einer religiösen Ebene damit auseinander. Was sagt "der Islam" dazu? Dabei gehe ich so vor, wie mit vielen Dingen in meinem Leben: wie eine Wissenschaftlerin. Ich habe großen Respekt vor den islamischen Wissenschaften. Im Vergleich zu den anderen religiösen Wissenschaften habe ich hier den größten Respektdavor, sonst wäre ich auch nicht konvertiert. Sie erhebt auf der tradierten und theologischen Ebene den Anspruch ganzheitlich wissenschaftlich fundiert zu arbeiten. Und im Rahmen meines Studiums der Islamologie fand ich auch nichts abweichendes vor. Wie hält es sich nun da mit der Homosexualität? Sie ist nicht verboten oder haram. Das Ausleben jeglicher Art von Sexualität außerhalb der Ehe ist im zivilrechtlich-islamischen Kontext verboten. Besonders interessant wird es in der zivil- oder strafrechtlichen Verfolgung: es grenzt an dem Unmöglichen Menschen dieses (also die Ausübung jedweder Sexualität) nachzuweisen. Und überhaupt. Welche zivil- und strafrechtlichen Kontexte geben es in Deutschland her, sich darüber Gedanken zu machen, und selbst wenn: wer bin ich denn, den Richter zu spielen? 

Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen: ich habe - wie wohl jeder Mensch - ein subjektives Empfinden dazu (jeder Mensch soll so leben können, wie er es sich das vorstellt, solange niemand anders dadurch in seiner Freiheit eingeschränkt wird) und ich habe ein muslimisches-theoretisches Empfinden und Beziehung dazu. Es mag vielleicht etwas subtil verstanden werden, aber es verdeutlicht wohl meinen Prozess: von einer überzeugten Atheistin zu einer überzeugten muslimischen Identität(sgewinnung).

 

Pragmatismus half mir in diesem Arbeitskontext also weiter. Es wäre unlogisch, homosexuelle Paare aus religiösen Gründen nicht zu beraten. Schaut man sich die unzähligen Kinder an, die im Kinderhaus landen, viele unter drei Jahre, ist jede Pflegefamilie IMMER besser, als diese Kinderhäuser. Doch Pflegeeltern sind rar. Familien, die schon eigene Kinder haben, sind im Verhältnis zu kinderlosen Paaren im Pflegeelternwesen nicht stark vertreten. Die Auswahl ist klein. Also aus der Perspektive des Kindes ist das Wohl in einem Zuhause deutlich höher einzustufen, als in einem Kinderhaus. Und überhaupt. Wer bin ich denn, zu urteilen? Zu richten? Das steht mir nicht zu, selbst aus islamischer Perspektive. Ich konnte mit wohligem Wissen sagen: ich weiß, wie meine Religion dazu steht und davon rücke ich auch nicht ab. Aber es widerspräche ebenso meiner muslimischen und sozialarbeiterischen Haltung diese Menschen aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung auszuschließen. Die, die gerade selbst solch einen Struggle mit Ausschluss erlebt, soll nun andere, aufgrund ihrer Lebensweise ausschließen? Nein. Nach der Logik dürfte ich auch keine Menschen beraten, die Alkohol trinken, Schweinefleisch essen oder irgendwie im Sinne jedweder Religion "sündhaft" leben. 

 

 

Was ist an der Nachfrage also so diskriminierend?

 

Ich weiß bis heute nicht, ob sie von sich aus auf mich zugekommen wäre, um mit mir näher darüber zu sprechen. Im Gespräch fragte ich sie, ob sie das jede neue MitarbeiterIn fragen würde. Sie verneinte und begründete es mit meiner Religion. Das ist diskriminierend. Das wäre ja vergleichsweise so, als würde ich bei jedem Ostdeutschen erst einmal prüfen und abwägen, ob er nicht rechtsradikal sei. Die grundsätzliche Annahme – OBWOHL ich mich ja auf Grundlage der vorliegenden Informationen, also ein homosexuelles Paar sucht das Erstgespräch, als zweite Gesprächsperson bereit erklärt habe. 

 

 

Und die Moral von der Geschicht...

 

Diskriminierungserlebnisse sind sehr vielschichtig. Sie können das Innere eines Menschen ziemlich aufwühlen und sie auf subtiler Ebene in Frage stellen. Aufgrund fehlender Debatten in Minderheitengruppen, aufgrund von weniger Reibung innerhalb dieser Gemeinschaften. Gleichzeitig offeriert Diskriminierung ein vehementes Fehlen von Kultursensibilität der höher gestellten Gesellschaftsschicht. Diese und weitere Erfahrungen brachten mich dazu unser Institut für kultursensible Beratung ins Leben zu rufen, um Räume zu schaffen, in denen Vorbehalte und zumindest unbewusstes Diskriminierungsverhalten aufzudecken und so zu einem produktiven Dialog beizutragen.